Rede des Ersten Bürgermeisters Robert Ilg zum Volkstrauertag am 17.11.2024
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
seit vielen Jahren stehe ich nun immer im November mit Ihnen hier und wir denken an die, die in Kriegen, durch Gewaltherrschaft und Unterdrückung ihr Leben lassen mussten. Gleichzeitig können wir auf 79 Jahre Frieden zurück schauen. Was für eine Zahl. Es gibt wenige Perioden in denen die Geschichte von langen Friedenszeiten spricht. Frieden ist relativ. Oft wird er aufrechterhalten durch eine Kombination aus Machtbalancen, wirtschaftlichen Interessen und diplomatischen Abkommen. Und manchmal auch durch militärische Kontrolle.
Wie man sieht, ist so ein Frieden eine komplexe Sache und wäre doch vermeintlich so einfach. „Ich achte deine Grenze und du achtest meine“. Leider sind wir davon weit entfernt.
Derzeit müssen wir täglich Bilder aus der Ukraine sehen, von denen wir gehofft hatten, dass sie sich gerade auf unserem Kontinent niemals wiederholen: Menschen, die vor Bomben in U-Bahnschächte fliehen, die sich an der Grenze von ihren Familien trennen oder gar für immer Abschied nehmen müssen, an langen, frisch ausgehobenen Grabreihen. Wir sehen, was Menschen erleiden müssen und wozu Menschen in diesem Ausnahmezustand fähig sind – im Guten wie im Schlechten. All das Furchtbare eines Krieges findet im Herzen Europas statt. Die Bilder erinnern mich stark an zerstörte Städte in Europa im Jahr 1945.
Dieser völkerrechtswidrige Angriff Russlands hat die europäische Friedensordnung schwer erschüttert. Es gibt Zehntausende Tote und Verwundete. Dazu zählen auch Frauen und Kinder, alte und schutzlose Menschen. Leid und Tod auf beiden Seiten, zerstörte Städte und Landschaften, die Bilder sind kaum zu ertragen. Und es ist eine der größten Fluchtbewegungen seit 1945.
Dieser Krieg zeigt, wie schwierig und herausfordernd es ist, das friedliche Miteinander von Nationen und Staaten zu fördern. Das gilt erst recht, wenn es einmal durch Krieg zerstört ist. Und da stehen wir jetzt, mitten in Europa tobt ein Krieg und es wäre angesichts der Lage in dieser Welt –ich nenne da nur die USA mit ihrem neuen Präsidenten, und den Krieg im Gazastreifen- es wäre so wichtig, dass Europa zusammensteht und als starke europäische Nation auftritt.
Laut Experten gibt es vier Szenarien, wie der Krieg in der Ukraine ausgehen kann:
Eine verfestigte Pattsituation, also ein langer Krieg, ein eingefrorener Konflikt, ein Sieg der Ukraine oder eine Niederlage.
Das ist pragmatisch zusammengefasst.
Einer dieser Experten, John Lough von Chatham House sagt aber auch:
„Einfach nur „Frieden“ zu fordern, wird den Krieg nicht beenden. Es braucht eine klare Strategie, um Russland an den Verhandlungstisch zu bringen. Und diese Strategie basiert auf Unterstützung und Verteidigungsfähigkeit der Ukraine.“
Diese Aussage unterstreicht die Dramatik des Konflikts und die Notwendigkeit sowohl humanitärer als auch politischer Antworten. Frieden braucht Strategie…
Unser bisheriger Frieden war angelegt auf das fragile Gleichgewicht zwischen den Vereinigten Staaten und Russland. Die beiden größten Atommächte der Welt standen sich in einem Zustand der Rivalität und des Misstrauens gegenüber. Das Kernkonzept der Abschreckung, ich möchte es eher das „Gleichgewicht des Schreckens“ nennen, hat dazu geführt, dass beide Seiten einen weiteren Krieg vermeiden wollten.
Europa -zwischen den beiden Giganten- hat es eine lange ruhige Zeit beschert.
Es ist viel passiert in dieser Zeit. 1949, vor 75 Jahren, wurde das freiheitlich-demokratische Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet. Seine Präambel spricht sehr klar davon, dass die zukünftige Geschichte des deutschen Volkes „von dem Willen beseelt“ und geprägt sein soll, als „gleichwertiges Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. Den vier Müttern und 61 Vätern des Grundgesetzes waren 1949 die Erinnerungen an Verfolgung, Hass und Gewalt und an den Tod von Millionen Menschen durch die menschenverachtende nationalsozialistische Politik noch sehr präsent.
Die Folgen dieser Verbrechen wirken bis heute.
Ein im Moment für die Stadt Hersbruck sehr nahes Beispiel ist der Kontakt zu Oradour-sur-Glane in Frankreich seit einiger Zeit. Dort hat die SS 1944 eines der größten Massaker verübt, bei dem quasi der ganze Ort ausgelöscht wurde auf brutalste Weise. Bis heute hat dieser Ort gebraucht, um in einem Akt der Versöhnung auf eine deutsche Stadt zuzugehen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir diese Stadt sein dürfen. Wir bemühen uns mit aller Demut, aber auch mit einem herzlichen „Ja“ ganz im Sinne der Völkerverständigung, diesem Angebot gerecht zu werden.
Indem wir einstimmen in das Motto „Nie wieder…“ haben wir einen Freundschaftspakt geschlossen, in dem steht, ich zitiere:
„Unser gegenseitiges Engagement muss auf unserer Ebene zur Stärkung Europas beitragen, indem es einen Grundstein für den Aufbau des Friedens legt. Dieser Frieden, so zerbrechlich, nie erlangt, aber lebenswichtig für jeden Einzelnen. Wir wollen uns dafür einsetzen unseren Bürgern eine Lebensqualität zu bewahren, die künftige Generationen erben werden.“
Ein friedliches Leben, ein Auskommen, Meinungsfreiheit, freie Wahlen, Rechtsstaatlichkeit, Bürgerrechte in einer Demokratie, das gehört genauso zur Lebensqualität wie vieles andere auch. Manchmal denke ich, dass wir uns über die Vorzüge einer Demokratie gar nicht mehr bewusst sind. Wie wichtig es ist, Rechte zu haben. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, Frauen und Männer sind gleichberechtigt, sind zentrale Grundlagen unserer Menschrechte.
Im 7. Oktober letzten Jahres erschüttert uns die Nachricht von dem beispiellosen Terrorangriff der Hamas auf Israel und seine Zivilbevölkerung. Mit dem Motto „nie wieder ist jetzt“ drücken daraufhin ganz viele Menschen und auch zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Solidarität aus. Damit verbunden ist die Angst vor einem zunehmenden Antisemitismus.
Teil des Kalküls der Hamas war es, nicht nur in der Bevölkerung Israels, sondern auch im gesamten Gazastreifen unvorstellbares Leid anzurichten. Die zynische Hoffnung der Terroristen, damit den Hass auf Jüdinnen und Juden anzufachen – diese Hoffnung ist aufgegangen. Was ich nicht für möglich gehalten habe, ist passiert.
Und auch hier bei uns, in Deutschland, stehen wir vor diesen Schwierigkeiten. Wenn jüdische Menschen wieder Angst vor Übergriffen haben müssen, dann geht etwas schief. Wenn parallel dazu der Aufstieg von rechtspopulistischen Bewegungen eine bedeutende Rolle spielt, dann stimmt etwas nicht. Und wenn die Sozialen Medien dem Antisemitismus eine Plattform bieten, dann verstehe ich nicht mehr, wofür wir uns in den letzten Jahrzehnten eingesetzt haben.
Die Menschen, denen wir heute gedenken, sind gestorben für die wahnwitzige Idee eines Naziregimes. Und jetzt erleben wir z.T. ein Gedankengut, das eher aus dieser Zeit zu stammen scheint. Das ganz sicher nicht ins Heute passt. Und wir müssten eigentlich wissen, wie schnell aus der Saat der Intoleranz ein ganz zerstörerisches Feuer werden kann.
Aber es gibt auch Hoffnung, Zeichen der Solidarität und der Menschlichkeit. Wenn wir die Reaktionen der Deutschen auf die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine anschauen, sehen wir, wie tief Mitgefühl und Hilfsbereitschaft sein kann. In den letzten Jahren haben viele ihre Türen geöffnet und Unterstützung geleistet, wo sie konnten. Dies ist ein wertvolles Zeichen dafür, dass wir in der Lage sind, auch große Herausforderungen mit Menschlichkeit zu begegnen.
Daran müssen wir alle vereint weiter arbeiten, wenn wir dauerhaften Frieden wollen. Unsere Geschichte ist nicht nur ein Archiv von Geschehenem, sie ist eine Handlungsanweisung für die Zukunft. Diese Zukunft zu gestalten, liegt in unseren Händen.
In zwei Wochen werden wir eine große Veranstaltung mit allen Hersbrucker Schulen haben. Die Lehrkräfte haben sich zusammen mit den Kindern und Jugendlichen sehr kreative Beiträge einfallen lassen. Das Projekt „75 Jahre Grundgesetz“ beschäftigt sie seit Beginn des Schuljahres. Sie setzen sich auseinander mit den Artikeln des Grundgesetzes, lernen viel über ihre eigenen Rechte und über die von anderen. Das alles verarbeiten sie in Theaterstücken, in Liedern und in Filmen.
Alles was die Schülerinnen und Schüler sich erarbeiten, wird in irgendeiner Form bestehen bleiben. Sie werden sich erinnern, an das was sie gelernt haben.
So geht Grundgesetz!
Meine Damen und Herren,
heute ist ein Tag, der seine Aktualität nicht verloren hat. Wir stellen unwiderruflich die Erinnerung dem Vergessen entgegen. Der Volkstrauertag mahnt uns, für die Werte der Demokratie einzutreten, den Kurs Richtung Freiheit, Frieden, Sicherheit und Völkerverständigung einzuhalten. Gedenken wir all denen, die in Kriegen oder durch Gewalt ihr Leben verloren haben. Und hoffen wir, dass die Verantwortung dafür, dass Hass und Gewalt in dieser Welt keinen Platz haben, die Oberhand gewinnt.
In diesem Sinne spreche ich in unser aller Namen das Totengedenken.
Totengedenken
Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.
Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.
Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.
Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.
Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.
Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt Opfer geworden sind.
Wir gedenken der Opfer von Terrorismus und Extremismus, Antisemitismus und Rassismus in unserem Land.
Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten und teilen ihren Schmerz.
Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.