Schüler treffen zwei Staatspräsidenten in Frankreich
Oradour-sur Glane – Und dann ist er plötzlich da, der große Moment, in dem zwei Staatspräsidenten vor den Kindern stehen und sich das Kunstwerk ansehen, das die deutschen und französischen Kinder am Vortag gemeinsam erschaffen haben. Sie schütteln Hände, beantworten Fragen und mischen sich zum Gruppenbild unter die Kinder. Emmanuel Macron, der französische Präsident, der am Vorabend mit einem politischen Coup das Parlament aufgelöst hat, ist an diesem Tag trotz allem sehr präsent und zugewandt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der Zeremonie zum achtzigsten Jahrestag des erschütternden Massakers in Oradour-sur-Glane beigewohnt, ist ebenfalls für ein paar Minuten ganz bei den Kindern. Nach wenigen Minuten ist der Wirbel vorüber, die Staatschefs sind weitergezogen und mit ihnen der Pulk aus Bodyguards, Übersetzerinnen und Reportern.
Doch auch wenn dieser Moment der mit Spannung erwartete Höhepunkt der Reise von Carlotta, Sarah, Katharina, Klara, Lioba, Max und Emil vom Hersbrucker Paul-Pfinzing-Gymnasium gewesen ist, das Herz dieser Reise schlug woanders und zwar in der Begegnung mit elf Mädchen und Buben aus Oradour.
Während sich auf politischer Ebene die Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrags zwischen Hersbruck und Oradour anbahnte, sollte die junge Generation persönliche Beziehungen knüpfen. Der Deutsch-Französische Bürgerfond, das Deutsch-Französische-Jugendwerk (DFJW) und der Bezirk Mittelfranken unterstützten die Begegnung, der Schulleiter des PPG, Rolf Rosignuolo, die Lehrerin Barbara Raub und Kunstpädagogin Ute Scharrer begleiteten die Kinder auf der Zugfahrt nach Frankreich. Die hatte durchaus ihre holprigen Momente. Zugausfälle und mehrstündige Wartezeiten führten dazu, dass eine völlig vom Reiseplan abweichende Nacht in Paris eingelegt werden musste, ganz ohne Sightseeing in einer auf die Schnelle gebuchten Unterkunft. Die Verspätung um einen halben Tag konnte die jungen Mittelfranken nicht aus dem Takt bringen, zu groß die Vorfreude auf das Abenteuer. Drei junge Frauen vom DFJW nahmen die kleine Reisegruppe am Bahnhof von Limoges in Empfang und moderierten die dreitägige Begegnung souverän und mit viel Herz, räumen im Hintergrund protokollarische Stolpersteine weg. Denn Verständigungsprobleme gibt es schon: nur eines der deutschen Mädchen spricht etwas Französisch, ansonsten herrscht auf beiden Seiten Unverständnis der jeweils anderen Sprache. Mit flotten Kennenlern- und Sprachspielen helfen Fanny und Morgane vom DFJW der Völkerverständigung auf den Weg, die gemeinsamen Mahlzeiten in der Schulmensa, die herzliche Betreuung durch die Gemeindemitarbeiter von Oradour und die Arbeit am Kunstprojekt tun ihr Übriges.
Das Kunstprojekt sollte im gemeinsamen Kreativsein „Freundschaft – Amitié“ bildhaft darstellen, das Motto des Aufenthalts. In Teamarbeit grundierten die Kinder zwei große Leinwände und gestalteten selbstklebende Symbole, die auf die Bildfläche aufgebracht wurden. Friedenstauben, zwei, die sich die Hände reichen, ein Herz mit Flügeln in den Länderfarben, ein Boot mit Segeln in Schwarz-Rot-Gold und Blau-Weiß-Rot waren nur einige der Symbole für Frieden und Versöhnung, die die Kindergestalteten.
Ein schwieriger Gang war der durch das Märtyrerdorf. Die Ruinen werden seit dem 10. Juni 1944 als Mahnmal erhalten, als in Oradour 643 Dorfbewohner von der Waffen-SS ermordet wurden. Die deutschen Kinder waren von Schule, Elternhaus und dem DFJW-Team gut auf diese Führung vorbereitet worden. Agathe Hébras, die Enkelin eines der wenigen Überlebenden, führte die Kinder zum Elternhaus ihres Großvaters und zu den Mauern der Scheune, in der er wie durch ein Wunder überlebt hatte. Besonders bedrückend war der Besuch der Kirche, in der Frauen und Kinder von Deutschen getötet worden waren. Begleitung im Gespräch und Spiele, um die aufgestaute Spannung abzubauen, halfen den Jungen und Mädchen in die Normalität zurück.
Normalität? Die große, einige Stunden währende Zeremonie am 10. Juni in Anwesenheit Macrons und Steinmeiers war bei gleißendem Sonnenschein durchaus eine Strapaze. Nun schlug aber die große Stunde von Emil vom PPG: gemeinsam mit der französischen Sofia war er ausgewählt worden, mit den beiden Präsidenten einen Kranz auf den Stufen des Mahnmals am Friedhof abzulegen, was es auf einige Titelseiten und ins Fernsehen schaffte. So wie er glänzten alle Schülerinnen und Schüler durch Unbefangenheit, Aufgeschlossenheit und großes Interesse am historischen und aktuellen Geschehen, sich der Bedeutung dieser Tage durchaus bewusst. So fragten sie später die Präsidenten ganz direkt: „Hat sich in ihren Freundschaften etwas verändert, seit Sie Präsident geworden sind?“. Steinmeier gab zu, viel zu wenig Zeit für seine Freunde zu haben. Macron antwortete, dass er seine Hobbys nicht gemeinsam mit Freunden ausüben könne.
Damit hatte er das Bedauern der Schüler auf seiner Seite. Die können sich kaum vorstellen, sich nicht ganz frei mit Freunden treffen zu können. Ihr größter Wunsch nach den Tagen in Oradour ist, die neu gewonnenen französischen Freunde nach Hersbruck einladen zu dürfen. Bürgermeister Robert Ilg hat das schon zugesagt. Ein vergleichender Test der Eisdielen Hersbrucks wäre auf Wunsch der Kinder dann der erste Programmpunkt.