Vom Synonym für Unmenschlichkeit zum Symbol für Völkerverständigung: Oradour-sur-Glane unterzeichnet Freundschaftspakt mit Hersbruck zum 80. Jahrestag des Massakers
Am 10. Juni 2024, wenn sich das Massaker der Waffen-SS an der Bevölkerung von Oradour-sur-Glane zum 80. Mal jährt, schreiben zwei Städte im Beisein von Staatspräsident Emmanuel Macron und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein neues Kapitel deutsch-französischer Geschichte.
Oradour und Hersbruck, das im letzten Kriegsjahr eine Außenstelle des KZ Flossenbürg im Ort hatte, unterzeichnen einen Freundschaftspakt: ein kraftvolles Symbol der Versöhnung zwischen den so unterschiedlichen Kommunen. Und Auftakt für einen zukunftsorientierten Austausch in Kultur, Sport und Bildung.
Feierliche Unterzeichnung des Freundschaftspaktes
Am 10. Juni 2024 gedenkt Oradour-sur-Glane mit einer Zeremonie des Massakers, bei dem Soldaten der SS-Panzer-Division „Das Reich“ vor genau 80 Jahren 643 Bewohnerinnen und Bewohner des französischen Dorfes ermordet haben:
Die Zeremonie wird von der Stadt Oradour und vom Verein der Familien der Märtyrer ausgerichtet. Unter den geladenen Gästen sind nicht nur der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, sondern auch eine Delegation aus Hersbruck, deren Anreise vom Deutsch-Französischen Bürgerfonds gefördert wird.
Auf eine Kranzniederlegung im Märtyrerdorf am Vormittag folgt eine Gedenkfeier mit den Präsidenten. Am Nachmittag unterzeichnen beide Städte nach einem Gedenkgottesdienst ihren Freundschaftspakt.
Oradour-sur-Glane: Vom Ort des Grauens zum Symbol deutsch-französischer Verständigung
Am 10. Juni 1944 löschten SS-Soldaten das Dorf Oradour-sur-Glane im französischen Département Haute-Vienne fast vollständig aus: Männer wurden in Scheunen zusammengetrieben und erschossen, Frauen und Kinder in einer Kirche verbrannt, Häuser geplündert und in Brand gesteckt. Oradour-sur-Glane wurde zum Synonym für die Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs in Frankreich. Heute erinnern die Ruinen des Märtyrerdorfs sowie eine Gedenkstätte an einen Massenmord, den die Nationalsozialisten als „Vergeltungsaktion“ für den wachsenden französischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung bezeichneten.
Gleichzeitig ist das Dorf ein Ort deutsch-französischer Verständigung: Die diesjährige Unterzeichnung des Freundschaftspakts ist ein bedeutender Schritt für den Annäherungsprozess, der nach Jahrzehnten der Trauer und der Wut in den 1980er Jahren ihren Anfang nahm: So setzten sich etwa Robert Hébras, einer der wenigen Überlebenden des Massakers, Philippe Lacroix, Bürgermeister von Oradour, Benoît Sadry, Vorsitzender des Vereins der Familien der Märtyrer, und Fritz Körber, ehemaliges Mitglied des Bezirkstags Mittelfranken, für eine Annäherung Deutschlands und Frankreichs ein. Deren vorläufiger Höhepunkt war der gemeinsame Besuch der ehemaligen Staatsoberhäupter Joachim Gauck und François Hollande im Jahr 2013.
Entstehung der Freundschaft zwischen Oradour-sur-Glane und Hersbruck
2022 ergriff Oradour die Initiative für die Gründung einer freundschaftlichen Annäherung an eine deutsche Stadt, die ebenfalls unter dem Nazi-Regime gelitten hat. Im Rahmen der Partnerschaft zwischen der französischen Region Nouvelle-Aquitaine und dem Landkreis Mittelfranken in Bayern fiel die Wahl auf Hersbruck: Hier war von 1944 bis 1945 das zweitgrößte Außenlager des KZ Flossenbürg angesiedelt.
Erste Treffen zwischen den beiden Stadtverwaltungen sowie Vertreterinnen und Vertretern des Vereins der Familien der Märtyrer von Oradour-sur-Glane fanden 2022 und 2023 statt. Auch der letzte Überlebende Robert Hébras wurde noch Zeuge dieser entstehenden Freundschaft, bevor er mit 97 Jahren verstarb.
Der neue Freundschaftspakt soll den Grundstein für künftige Kooperationen legen: „Für Hersbruck ist es eine große Ehre und ich freue mich sehr auf diese Freundschaft. Sie ist eine Brücke zwischen unseren Gemeinschaften und wir haben die Chance, uns kennenzulernen, zu bereichern und voneinander zu lernen“, so Robert Ilg.
„Die Unterzeichnung des Freundschaftspakts ist ein bedeutendes Symbol für die deutsch-französische Verständigung, aber sie ist noch viel mehr als das: Städtefreundschaften schaffen einen Rahmen, innerhalb dessen Stadtverwaltungen, Schulen und Zivilgesellschaft ganz konkret deutsch-französisch zusammenarbeiten können. In diesen Austauschprojekten entstehen Verständnis, Inspiration, Freundschaft. Besser kann man dem ‚Nie wieder!‘, das Bürgerinnen und Bürger beider Länder vereint, nicht mit Leben füllen“, so Benjamin Kurc, Leiter des Deutsch-Französischen Bürgerfonds.